Die Brennerbande, Teil 78


"Was wäre, wenn Herr Kargerheim schon weiter is'."
"Und das hilft uns wie?"
"Wenn wir ihn finden, dann finden wir auch die Ritter."
Walmo duckte sich noch rechtzeitig, bevor Walter ihn treffen konnte.
"Die Ritter haben wir schon gefunden, du Erbsenhirn."
"Er könnte recht haben," warf Malandro ein.
"Womit?"
"Dass uns das hilft, Kargerheim finden."
"Und wenn wir ihn dann gefunden haben, dann was?"
"Dann holen wir ihn raus."
"Ich mag gar nicht mehr zuhören. Seid ihr alle vom wilden Esel getreten worden? Die Herren jener Bande haben uns bedroht und ich zweifle nicht daran, dass sie auf uns geschossen hätten. Was in Hetrados Namen könnte euch die Idee geben, dass sie mit euch sprechen werden." Herr van der Linden hatte sich langsam in Rage geredet. Er war den ganzen Tag mit den Jungs herumgelaufen, hatte sich ihre Diskussionen angehört, war von Rittern bedroht worden und alles nur, weil er seinen Sohn beschützen wollte. Wie hatte er sich dermaßen von ihren Spinnereien mitreißen lassen?
"Aber wir können doch nicht aufgeben."
"Ihr hättet nicht einmal beginnen sollen."
"Wenn wir einmal rumgehen, dann …, dann wissen wir, wo sie ihn hingebracht haben."
"Worum?"
"Um die Hallen, durch Burgdorf und so."
"Wozu, Malandro? Meinst du, wir können Kargerheim befreien?"
"Wir können‘s doch versuchen?"
"Ihr könnt auch dabei sterben."
Sie zögerten nur kurz. Sterben war natürlich immer eine Möglichkeit, aber nichts zu tun, fühlte sich verkehrt an. Selbst Gunnar konnte sich nicht vorstellen, nur herumzusitzen und zu warten.
"Das wird so viel Ärger geben."
"Ich sollte den Dampfschnüffler nehmen und euch hier einfach stehen lassen. Aber wer weiß, was für Dummheiten euch dann noch einfallen."
"Danke, Herr Vater."
"Dafür erwarte ich aber, dass ihr tut, was ich sag."
Die Feldstraßler warfen sich ungläubige Blicke zu, nickten aber trotzdem.

Wenn man bedachte, dass sie zwei Stunden lang durch die Gegend liefen, wegen ihrer ungewöhnlichen Ausrüstung angegafft wurden und Gunnars Vater ihnen beständig über die Schulter starrte, um ihnen zu sagen, wohin sie gehen sollte, mochte es nicht viel erscheinen, dass sie keine frische Spur von Kargerheim fanden. Allerdings bedeutete dies natürlich gleichzeitig, dass sie jetzt wussten, wo Kargerheim war.

Sie befanden sich mehr oder weniger an derselben Stelle, von der aus sie zu ihrer kleinen Wanderung aufgebrochen waren.
"Jetzt wisst ihr, was ihr wissen wolltet. Auf nach Hause."
Sie starrten Herrn van der Linden ungläubig an. Wie konnte er so etwas sagen, nach allem, was er an diesem Tag erlebt und gehört hatte. Er sollte inzwischen doch gelernt haben, dass sie nicht so einfach aufgaben.
Gunnar konnte sehen, wie Malandro Walter etwas zuflüsterte. Walter wandte sich Tiscio zu, der die Nachricht schließlich an Gunnar weitergab. Walmo ließen sie aus, er würde eh das tun, was die anderen beschlossen.
Nacheinander nickten sie und folgten dem Erfinder Richtung Altstadt. Sie waren noch nicht weit gekommen, als Malandro sich plötzlich meldete: "Herr van der Linden. Ich würde mal bei meiner Alten vorbeischauen."
"Das is' ne gute Idee." Meldete sich Walter.
"Mein Paps kann mich zwar nich' riechen, aber mein Bruder kann mal wieder was vertragen."
Gunnars Vater blieb stehen und blickte auf seinen Sohn. Sein Gesichtsausdruck verriet, dass er eine gute Vorstellung davon hatte, was gleich geschehen würde.
"Herr Vater, ich gehe mit meinen Freunden. Dann können wir zusammen zu Herrn Unterschnitt gehen. Können wir die Erfindungen mitnehmen."
Herr van der Linden schüttelte den Kopf, was in der Dämmerung vor dem Gestell des Rüsters kaum zu sehen war.
"Verliert die Sachen nicht, Jungs."

Sie machten es ähnlich wie beim letzten Mal, als sie zu Onkel gebracht wurden. Malandro und Tiscio entledigten sich aller wertvollen Gegenstände und ließen die drei anderen im Schatten einer Halle zurück. Es hatte angefangen zu nieseln und die einsetzende Dunkelheit machte ihren Aufenthalt in dieser einsamen Gegend immer unangenehmer. Sie hätten nicht zu sagen vermocht, für wen es unheimlicher werden würde, für die drei, die warten mussten, bis ihre Freunde vielleicht zurückkommen würden, oder für die beiden, die sich gefangen nehmen lassen wollten, immer hoffend, dass man sie nicht verprügelte oder schlimmeres mit ihnen anstellte.
Gunnar und Walmo luden noch die Handschuhe auf, während die anderen beiden hinter der nächsten Halle verschwanden. Sie hofften, dass sie gut genug waren, sich damit mögliche Angreifer vom Hals halten zu können.

Tiscio und Malandro hatten vereinbart, dass jeder von ihnen eine Seite im Auge behalten würde. Während Malandro jedoch hektisch hin- und herblickte, weil er hoffte, die Bewegungen, die er aus den Augenwinkeln wahrnahm, nicht bestätigt zu finden, sah Tiscio fast die ganze Zeit starr geradeaus. Er wollte sich nicht eingestehen, dass er die Hosen voll hatte. Der letzte Besuch bei den Rittern hatte tiefen Eindruck bei ihm hinterlassen, wie der alte da so ruhig und klein gesessen und doch alle Fäden in der Hand gehalten hatte. Und jetzt lieferten sie sich ihm freiwillig aus.

Hinterher konnten sie nicht sagen, wer ihn zuerst gesehen hatte, oder was sie mehr überraschte, dass dort plötzlich jemand stand, den sie zuvor nicht gesehen hatten, oder dass sie ihn kannten.
"Ihr solltet abhauen," sagte Gerca Winrond.
"Wir müssen mit Onkel sprechen."
"Onkel empfängt nich' einfach ein paar Burschen. Haut ab!"
"Das is' wichtig. Wir müss'n die Seps aufhalten."
"Hier is' nichts für euch."
"Was is' mit Kargerheim?"
"Nich' eure Angelegenheit."
"Wir ha'm dir den Arsch gerettet. Wenigstens was sagen kannst'e uns."
Winrond zögerte.
"Unterschnitt hat was mit Onkel abgemacht, mehr weiss ich nich'."
"Aber was is' mit Kargerheim?"
"Mehr is nich'. Ihr müsst jetzt gehn. Los." Damit deutete er auf den Weg, den sie gerade gekommen waren. Während er sich umblickte, meinte Malandro erneut Schemen sehen zu können. Er zog Tiscio, der vor Wut seine Hände auf und zu krampfte, am Ärmel, und sie machten sich geschlagen auf den Rückweg.

Die Kinder aus der Feldstrasse, 04